PG Heidingsfeld

Heute Nachmittag werden in der „Bebilderten Kirchweihandacht“ Bilder gezeigt von damals, 1950, als es um die Einweihung oder Wiedereinweihung unserer Kirche ging. Viele von damals sind nicht mehr da, obwohl wir uns heute noch dankbar an sie erinnern. Ich denke an die Freiwilligen, die den Schutt weggeräumt haben, um Platz zu schaffen für Neues.

Ich denke an die, die auf dem Baugerüst unter haarsträubenden Bedingungen unterwegs waren. Ich denke an die Firmen, die am Wiederaufbau beteiligt waren, an die Arbeiter, an Pfarrer Fritz und seine Kapläne. Ich denke an die Ministranten, die Chorsänger und Musikanten, an die hohen Herren aus Würzburg, an deren Spitze Bischof Dr. Julius Döpfner. Ich denke daran, wie man damals wohl durchgeatmet hat, als der Tag der Kirchweihe vorbei war und man wusste, dass alles geklappt hat. Ich denke an die vielen Menschen, die froh waren, wieder eine geistige Behausung zu haben und an die Menschen, die dem Vorgängerbau nachgetrauert haben. Ich denke an die Menschen, die auf den Trümmern ihrer Existenz ihr Leben hier in Heidingsfeld neu aufgebaut haben: die Kriegerwitwen, die Kriegsheimkehrer, die Kinder, die vorher nur Bomben und Angst kannten, Hunger vielleicht, die Älteren, die wussten, wem sie da vor dem Krieg auf den Leim gegangen waren oder die aus Überzeugung den rechten Arm in den Himmel gereckt hatten und sehr stolz waren, Deutsche zu sein…
Inzwischen war alles anders, es ging aufwärts, wohin sonst? Man hatte den Hungerwinter 1947 hinter sich gebracht und die Währungsreform und fand sich in der jungen Bundesrepublik wieder mit einem rheinischen Kanzler und einem großväterlichen schwäbischen Präsidenten.
Und einem Pfarrer Fritz, von dem man in Heidingsfeld heute noch erzählt, in Anerkennung, in Wertschätzung, in Furcht und Ehrfurcht. Die Ehrentafel hinten in der Kirche erzählt davon.
Die neue Kirche sah natürlich anders aus als die alte und war und ist neben der Siedlungskirche die katholische Kirche von Heidingsfeld. Die Gestalt der Kirche war eine andere und doch wusste jeder, wo er war. Das Pfarreileben kam wieder in Blüte, ein gutes halbes Dutzend Priester entstammt dieser Pfarrei. Ein Erfolgsmodell also, inzwischen ausgestattet mit Pfarrheim, Kegelbahn und einem runderneuerten Kindergarten.
So könnte es ewig weitergehen. Das Wort „ewig“ ist eine religiöse Kategorie, jenseits von Raum und Zeit also, immer weiter. Aber dem ist nicht so. Unser Kirchengebäude steht da wie am ersten Tag, inzwischen mehrmals innenrenoviert und frisch gestrichen, auch die Orgel ist auf dem neuesten Stand. Andere Gewohnheiten, Ansichten, Bedürfnisse und – neu - das Corona-Virus lassen mehr als ahnen, dass es nicht so weitergeht, dass sich die innere Gestalt von Kirche ändert, dass das Modell der Pfarrfamilie, die sich treu ergeben um ihren Pfarrer schart, schon lange kein Modell mehr ist. Kirche wird zunehmend als Dienstleister wahrgenommen. Das muss nicht grundsätzlich schlecht sein, dieses Modell braucht allerdings diejenigen, die bereit sind, einen Dienst zu leisten. Den Hauptamtlichen und den Ehrenamtlichen geht dabei teilweise jedoch die Luft aus. Neue, so genannte „Pastorale Räume“ müssen her, und Bischof Franz hat sie gestern errichtet. Ob das das Modell der Zukunft ist, wird sich zeigen.
Daneben ganz neue und spannende Experimente: Kirche im Internet, interaktives Beten und Plaudern und Feiern über Raum und Zeit hinweg. Da spielt es dann keine entscheidende Rolle mehr, ob der Beter in Wien sitzt, auf Sylt oder bei uns.
1945 waren es englische Fliegerbomben, die der Kirche ihre damalige Gestalt genommen haben, 20 Minuten hat das gedauert. Heute sind es die gesellschaftlichen Umstände, die Gewohnheiten, die Verweigerung, die Ahnungslosigkeit, die Bedürfnisse, die Glaubensverdunstung, die Überforderung, die Faulheit, die Vereinzelung, die Unwissenheit und Wurstigkeit oder alles zusammen, die die Gestalt der Kirche radikal verändern. Und dann wird es wieder heißen: weg mit den Trümmern, wir bauen etwas Neues.
So gesehen, sind wir da, wo wir nach 1945 schon einmal waren. Damals kamen die Menschen mit Spitzhacke und Schubkarre, mit Mörtel und Backsteinen, mit Farbe und mit dem Wissen, das Richtige und Gute zu tun, weil ihnen ihr Glaube wichtig ist und sie ihm eine neue Gestalt geben wollten und mussten. Der Glaube als innerer Antrieb.
Heute brauchen wir wieder Menschen, denen der Glaube wichtig ist, die wissen, wofür sie leben und wozu sie da sind. Vielleicht gibt es in 70 Jahren dann auch eine „Bebilderte Kirchweihandacht“ am Nachmittag des Kirchweihsonntags 2090. Dann sind vielleicht wir auf den Bildern.

von Pfarrer Hösterey am 25. Oktober 2020

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