PG Heidingsfeld

Würzburg (POW) Menschen, die fest in ihrem Glauben verwurzelt sind, seien weniger anfällig für die durch Corona hervorgerufenen gesellschaftlichen Spannungen. Das hat Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, im Gespräch mit Bischof Dr. Franz Jung gesagt.

„Ich habe das Gefühl, dass diese Konflikte bei den Menschen, die doch relativ fest in ihrem Glauben verwurzelt sind, die also auch kirchlich gefestigt sind, religiös gefestigt sind, weniger problematisch sind als bei jenen Gruppen, die plötzlich Verschwörungsmythen aufgebracht haben“, erklärte er. In der Reihe #zwei1einhalb auf dem Social-Media-Kanal Instagram @bistumwuerzburg tauschten sich Bischof Jung und Schuster am Montag, 8. März, via Internet aus. In dem knapp halbstündigen Gespräch sprachen sie miteinander zudem darüber, welche positiven Erfahrungen man aus dem Corona-Lockdown mitnehmen könne und was sie persönlich in dieser Zeit bewegt hat.

Die Corona-Einschränkungen hätten gesellschaftlich zu „erheblichen Spannungen“ und unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten geführt, sagte Bischof Jung. Insbesondere der Ton sei teilweise aggressiver geworden. Wenn man etwas nicht erklären könne, beispielsweise die Herkunft eines Virus, werde die Verantwortung dafür gerne bei Minderheiten gesucht, erklärte Schuster. „Völlig irrational, aber das sind Dinge, die ich in dieser Form schon beobachtet habe und die mir auch Sorgen machen.“

Ihn habe die große Kreativität gefreut, die im Bistum freigesetzt wurde, erzählte Bischof Jung. Die Menschen hätten füreinander eingekauft, es sei eine Briefpastoral entstanden, Telefonketten und viele weitere Möglichkeiten der Kontaktaufnahme. Ein wichtiges Anliegen sei ihm auch gewesen, das Beten im Kreis der eigenen Familie neu zu beleben. Dafür habe es seitens des Bistums viele Anregungen gegeben, sagte der Bischof. Ihm selbst sei das „fürbittende Gebet“ wichtig gewesen. „Es ist eine Form, aneinander Anteil zu nehmen und Anteil zu geben.“ Positiv seien die gestreamten Gottesdienste aufgenommen worden. „Viele Menschen haben uns signalisiert, wie wichtig es ihnen ist, auf diese Weise mit ihrer Gemeinde und dem Bistum in Kontakt zu bleiben.“

Gottesdienste via Internet zu streamen sei im traditionellen Judentum problematisch, da am Schabbat die Nutzung von Strom nicht erlaubt sei, erklärte Schuster. „Ich bin froh dass wir wieder Gottesdienste mit Abstand und mit Mund-Nasen-Schutz abhalten können.“ Ohne den Gottesdienst am Schabbat fehle ein wesentlicher Teil des Gemeindelebens. Auch in der jüdischen Gemeinde habe man beispielsweise per Telefon Kontakt zu Menschen gehalten, die weniger mobil sind oder Angst vor einer Ansteckung haben. So etwas sei für alle Beteiligten positiv. „Wenn ich jemand anderem etwas Gutes tun kann, dann bedeutet es auch, sich innerlich selber etwas Gutes zu tun.“

Er selbst vermisse vor allem die persönlichen Begegnungen und das gemeinsame Gebet, sagte Schuster. „Mir fehlt die direkte Kontaktmöglichkeit mit der Familie, den Kindern, insbesondere den Enkelkindern.“ Das könne auch durch Begegnungen am Bildschirm nicht ersetzt werden. Bischof Jung berichtete von ähnlichen Erfahrungen. „Für mich ist es ganz wichtig, bewusst Menschen anzurufen, einen Brief zu schreiben, eine Karte, eine E-Mail, um zu sagen, wir sind noch da und es ist wichtig, dass wir voneinander wissen und voneinander hören.“

Es sei nicht alles negativ zu bewerten, gab Schuster zu bedenken. So habe man durch den Wegfall von Auswärtsterminen gemerkt, dass viele Dinge auch vom heimischen Schreibtisch aus erledigt werden können. Ein Almosen, das er in dieser Zeit empfangen habe, sei deshalb ein Mehr an Zeit gewesen. „Ich gebe zu, dass ich sonst häufig bis abends um zehn am Schreibtisch saß.“ Nun habe er sich angewöhnt, dass der Arbeitstag vorbei sei, wenn die Tagesschau beginne, erzählte er. Es sei aber wichtig, die gewonnene Zeit auch zu nutzen, beispielsweise um mit Menschen, die man nicht treffen kann, auf andere Weise zu kommunizieren, etwa per Telefon oder per Skype.

Er selbst habe während der Pandemie Kraft aus dem persönlichen Gebet geschöpft, aber auch aus religiösen Beiträgen, etwa aus der Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“, sagte Schuster. „Man kommt ein bisschen zur inneren Ruhe, und auch das hat Vorteile“, sagte er über die vergangenen Monate. Er würde sich wünschen, dass man einiges von der Gelassenheit, die man während der Pandemie zwangsweise entwickeln musste, mitnimmt in die Zeit nach Corona. „Wir sollten nicht genauso hektisch weitermachen wie es vorher war. Das sollten wir auf jeden Fall aus Corona lernen.“

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