PG Heidingsfeld
Müller neben Müller 

Wie bringt man 230 Menschen, die sich nur teilweise oder gar nicht kennen, ins Gespräch? Was bei einer so großen Zahl ohnehin schon schwierig ist, wird noch schwieriger, wenn es sich um Menschen handelt, die es gewohnt sind, ganz bestimmte Untergruppen zu bilden und sich entsprechend zu verhalten.

Zur ersten Synodalversammlung trafen Ende Januar 2020 in Frankfurt am Main 69 Bischöfe, 35 Priester und 4 Diakone, insgesamt also 105 Kleriker, und 121 „Laien“ zusammen. Unter den Synodalen sind 159 Männer, 70 Frauen und eine diverse Person. Mehr als die Hälfte von ihnen ist hauptamtlich in der Kirche tätig, andere ehrenamtlich, auch Universitätstheologen sind dabei. Die einen spricht man mit „Herr Bischof“ an, andere mit „Frau Professorin“. Fast alle Priester erschienen in Klerikerkleidung, einige Bischöfe zusätzlich mit Brustkreuz bewehrt. Einige der 16 Ordensleute trugen ihr Ordensgewand, die „Laien“ kamen in zivil, die Frauen insgesamt eher bunt, die Männer meist in schwarz.

Wie gelingt eine gute Debattenkultur?

Alles nur Äußerlichkeiten? Wohl kaum. Kleider machen Leute und Titel spiegeln Hierarchien. Es gibt viele eingeübte Verhaltensweisen, welche Kommunikation fördern oder behindern. Es gibt in der Kirche „Mitbrüder“ (Kleriker) und „Schwestern und Brüder“ (Laien), „hochwürdigste Herren Bischöfe“ und die anderen „Damen und Herren“. Wie soll man da auf Augenhöhe miteinander reden? Wie gelingt ein echter Austausch? Wie überbrückt man eine innere Zensur? Kurz: Wie übersetzt man, was sogar das Kirchenrecht bekundet – dass alle Gläubigen, ob Kleriker oder „Laie“, gleich seien in Würde und Tätigkeit – in eine gute Debattenkultur?

Gesprächsgruppen statt Seilschaften

Eine bestürzend einfache Methode, die sich schon während der ostdeutschen Meißner Synode (1969-1971) bewährt hatte, half: das Alphabet. Müller sitzt neben Müller, egal, ob Müller Priester ist oder Schülerin. So entstehen Gesprächsgruppen statt Seilschaften und man lernt Leute kennen, die man sonst nicht angesprochen hätte. Ein weiteres höchst taugliches Instrument zur Verbesserung der Kommunikationskultur: Alle dürfen reden, aber keiner länger als der andere. Nach verabredeter Zeit klingelt auch beim Erzbischof die Glocke, wenn er nicht zum Punkt kommt.

Vorteil für die freie Rede

Dass zwischenzeitlich die Redezeit von drei auf zwei und schließlich eine Minute verkürzt wurde, zeigte den großen Redebedarf und das hohe Engagement der Synodalen. Wer sich traute, frei zu sprechen statt zuhause vorbereitete Vorträge abzulesen, war doppelt im Vorteil: Er stand mitten in der Debatte statt ihr belehrend gegenüber. Er konnte respektvoll auf die Vorredner reagieren und lief nicht Gefahr, über sie hinwegzureden.

An Stelle vorformulierter 3-Minuten-Texte spontane 60-Sekunden-Statements zu halten, ist natürlich herausfordernd – aber es bringt die Dinge auf den Punkt und das Gespräch in Schwung. Dass man dazu kein Berufsredner sein muss, bewiesen die jungen Leute der Synodalversammlung, die sich engagiert einbrachten – wie auch die Frauen, die, obgleich zahlenmäßig in der Minderheit, in eindrücklichen Redebeiträgen bewiesen, dass in der Kirche nicht nur Männer etwas zu sagen haben.

Autorin des Artikels: Julia Knop, In: Pfarrbriefservice.de

Dr. theol. Julia Knop (geb. 1977) ist Professorin für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt und Mitglied der Synodalversammlung sowie des Synodalforums „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“.

Der Synodale Weg

Der Synodale Weg ist ein Gesprächsprozess innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland. Er soll der Aufarbeitung von Fragen dienen, die sich im Herbst 2018 nach der Veröffentlichung der MHG-Studie über sexuellen Missbrauch in der Kirche ergeben haben. Die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken verantworten gemeinsam diesen Prozess, der auf zwei Jahre angelegt ist und am 1. Dezember 2019 eröffnet wurde. www.synodalerweg.de

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